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Die Konsequenzen der Postmoderne für die Erzähltheorie

Wenn vom Zeitalter der Postmoderne gesprochen wird, dann ist auch gemeint, dass sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst eine Vielzahl von Versionen und Sichtweisen über die Welt existiert. Dabei ist gleichgültig, ob es sich um Beschreibungen oder Abbildungen der Welt handelt Denn jede von ihnen hat keinen Wahrheitswert im buchstäblichen Sinn, und jede ist in einem gegebenen System richtig. (N. Goodman, Weisen der Welterzeugung. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1998, S.15)
Die verschiedenen Weltversionen sind unabhängig voneinander von Interesse und Wichtigkeit. und lassen sich nicht auf eine einzige, grundlegende reduzieren. Es kann auch kein neutrales Etwas unterhalb dieser Versionen geben. (Vgl. ebd., S. 17)

Die Konsequenzen für die Erzähltheorie werden deutlich in den Aussagen neuerer Arbeiten, wenn davon gesprochen wird, dass die in der fiktionalen Rede geäußerten Sätze einen Wahrheitsanspruch in Bezug auf die erzählte Welt erheben, aber nicht in Bezug auf die "reale" Welt (M. Martinez, M. Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, S. 95.)
Innerhalb des Bezugsrahmens "literarischer Text" sind die Aussagen der Erzählinstanz notwendig wahr, solange sie innerhalb des Bezugsrahmens angesiedelt sind. Die Aussagen der Figuren und der figurengebundenen Erzähler können wahr oder falsch sein. Dieses unzuverlässige Erzählen ist jedoch nur dann textimmanent, solange es sich auf die anderen Figuren oder die erzählten Ereignisse beziehen. Aussagen, die Weltsicht oder das Wertesystem des Erzählers betreffen, werden vom Rezipienten mit seinen eigenen verglichen. Das Weltwissen wird dabei mit den Daten des Textes in Beziehung gesetzt oder vorgegebene Lebensmodelle oder Bezugsrahmen werden auf den Text projiziert. Ob ein Erzähler als unglaubwürdig eingestuft wird, hängt nicht vom impliziten Autor, sondern vom Rezipienten ab (Vgl. Ansgar Nünning: Unreliable Narration zur Einführung: Grundzüge einer kognitiv-narratologischen Theorie und Analyse unglaubwürdigen Erzählens, S. 24 f.)

Wenn angenommen wird, dass es eine Vielzahl von Welten gibt, die durch Begriffe, Symbole usw. erzeugt wie auch beschrieben werden und das Welterzeugen Umschaffen aus anderen Welten ist (N. Goodman, Weisen der Welterzeugung, S.18 f.), so verliert auch die Trennung in fiktive/erzählte und authentische/reale Welt an Bedeutung. Beide Welten existieren nicht nur nebeneinander, sondern können einander durchdringen, wechselseitig formen.
Es muss nicht mehr streng zwischen realem und impliziten Autor unterschieden werden, und ein Autor, der Erzähler einer fiktiven literarischen Geschichte ist, wäre dann kein Paradoxon mehr.

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