Zum Begriff des Erzählers

Schon der Begriff des Erzählers birgt zahlreiche Streitpunkte in sich. Im Wort-Sinn ist der Erzähler ein Mensch, der etwas erzählt. Wenn der Erzähler nicht der Autor des Textes ist, so ist er auch kein Mensch, keine historische Person. Er kann aber eine Figur des Textes sein, wenn dieser von einem Ich-Erzähler dargeboten wird.
Daher erscheint die These K. Hamburgers, dass nur in diesem Fall von einem Erzähler gesprochen werden kann, ansonsten aber es "nur den erzählenden Dichter und sein Erzählen" gibt, verständlich.
Ein weiteres Problem ist also die Trennung von Autor und Erzähler, welche lange Zeit als gesicherte Erkenntnis galt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass dies nur für rein fiktionale Texte gilt, d.h. mit der Preisgabe der Fiktionalität kommt der Autor-Erzähler in die Texte. (Vgl. dazu J.H. Petersen, Erzählsysteme, S. 33.)
Jedoch lassen sich bei Texten, in denen "Ich" oder "Wir" eines Erzählers zu finden sind, deutliche Unterschiede festmachen zwischen solchen, in denen (vereinfacht gesagt), Geschehen und Figuren nur gezeigt, und solchen, in denen sie auch kommentiert und bewertet werden. F.K. Stanzel führt dafür die Bezeichnungen personales und auktoriales Erzählen ein.
Die Tatsache, dass ein Erzähler nicht "Ich" sagt, seine "Stimme" aber deutlich vernehmbar ist, führt zu solchen Bezeichnungen wie "Erzähler-Medium" durch Robert Weimann u.a. (Vgl. R. Weimann, Erzählsituation und Romantypus, in: Sinn und Form, 18/1968, S. 109 ff.) oder "Erzählerinstanz" (Vgl. G. v. Graenvenitz, Erzähler, in: H.-W. Ludwig, Arbeitsbuch Romananalyse. Tübingen 1982, S. 94.). Petersen hingegen meint, dass der Erzähler existiert, aber keine Person mit Eigenschaften ist, nicht auf sich selbst verweist.
Die angedeuteten Missdeutlichkeiten beim Begriff des Erzählers haben in der angelsächsischen Literaturwissenschaft zu dem Versuch geführt, dem Begriff durch die Darstellung des "Point of view" aus dem Weg zu gehen. "Haltung" oder "Perspektive" ist jedoch eine Relation, "jemand" muss die entsprechende Beziehung zu den Gegenständen und Figuren zum Ausdruck bringen.

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