VORLESUNG 1

Die Entwicklung der südslavischen Literaturen von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts

0. Einleitung

0.1. Südwestslavische Sprache und Literatur
Seit einigen Jahren werden die slavischen Sprachen in vier Gruppen unterteilt: die ostslavischen (russisch,weißrussisch, ukrainisch), die westslavischen (polnisch, sorbisch, tschechisch, slovakisch), die südostslavischen (bulgarisch, makedonisch) und schließlich die südwestslavischen (slovenisch, kroatisch, serbisch), d.h. man hat die große Gruppe der südslavischen Sprachen noch einmal unterteilt. Ich möchte in den folgenden vier Vorlesungen über die Entwicklung der slovenischen, serbischen und kroatischen Literatur sprechen, also die drei größeren Literaturen, die sich zuletzt auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslavien entwickelten. Jedoch sind die Bezeichnungen nicht ganz eindeutig. Während sich die slovenische Sprache tatsächlich separat entwickelte, spricht man bekanntlich von der serbokroatischen, der kroatoserbischen, der kroatisch/serbischen Sprachen usw. Es handelt sich um ein Sprachengebilde, das in verschiedenen Varianten - Dialekten und Mundarten, auch mit heterogener Lexik - nicht nur in Kroatien und Serbien, sondern auch in Bosnien und der Hercegovina sowie in Montenegro gesprochen wird. Dies ist zu berücksichtigen bei der folgenden Überblicksdarstellung, ebenso wie die wechsel- und leidvolle Geschichte, dieser Völker, auf die ich daher bei meinen Ausführungen immer wieder eingehen werden muss.

0.2. Historische Situation im 10. Jahrhundert
Wenn man über die Anfänge der literarischen Entwicklung spricht, meint man ja zunächst keine Literatur im modernen Sinn, sondern weit gefasst erhalten gebliebene schriftlich fixierte Texte. Diese Schriftdenkmäler sind zu jener Zeit zumeist kirchliche Gebrauchstexte, die durch Abschriften in den Klöstern die Zeiten überdauert haben.
Wie sich die Situation in den einzelnen Sprachräumen gestaltet, soll im Folgenden gezeigt werden.

1. Die Entwicklung der slovenischen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts

1.1. Zur historischen Situation
Die Slovenen begründeten im 7. Jahrhundert ein eigenes Fürstentum, gerieten im 8. Jahrhundert jedoch unter deutsche Herrschaft, wo sie im Grunde genommen bis 1918 verblieben, wobei sie ab einen Teil der Habsburger Monarchie bildeten.
Diese historische Entwicklung bedingte, dass die slovenische Sprache bis ins 18. Jahrhundert hinein weder Amts- noch Literatursprache war. Der Adel und die hohe Geistlichkeit waren deutscher Herkunft, sprachen und schrieben deutsch, während die slovenischen Bauern schriftunkundig waren.

1.2. Die Freisinger Denkmäler
Jedoch können Texte in slovenischer Sprache bereits für das 10. Jahrhundert nachgewiesen werden. Es handelt sich um die "Freisinger Denkmäler" (Bri_inski spomeniki), so genannt nach ihrem Fundort, einem Kloster in Bayern. Sie wurden 1803 der Bibliothek in München übergeben und schon wenige Jahre später dem "illyrisch-kärtnerischen Dialekt", also dem Slovenischen, zugeordnet.
Diese Zuordnung erfolgte aus zwei Gründen: einmal, weil die Texte nur im Geltungsbereich des Klosters Freising aufgezeichnet werden konnten - zu dem der westliche Teil des ethnischen Territoriums der Slovenen gehörte - zum anderen wegen bestimmter sprachlicher Besonderheiten. Man geht davon aus, dass sich die deutschen Geistlichen bei ihrer Missionstätigkeit zu dieser Zeit der Sprache der ansässigen Bauern bediente. Allerdings kann man noch nicht von einer eigenständigen Sprache ausgehen. Jedoch können Unterschiede zu anderen Dialekten wie dem Altbulgarischen nachgewiesen werden.
Die aufgefundenen Texte werden der zweiten Hälfte des 10. bzw. der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts zugerechnet, aber wahrscheinlich handelt es sich um Abschriften früherer Vorlagen. Es sind zwei Beichtgebete sowie eine Homilie über die Beichte. Umstritten sind bis heute die Beziehungen zu altkirchenslavischen Texten. Die Texte könnten bereits vor dem Wirken von Kirill und Metod entstanden sein oder aber von deren Tätigkeit beeinflusst sei. Fakt ist, dass es sich um die ältesten bekannten Aufzeichnungen einer slavischen Sprache in lateinischer Schrift handelt. Für das I. und das III. Denkmal - die Beichtgebete - wurden dann auch althochdeutsche Gebete als Vorlagen nachgewiesen. Das II. Denkmal weist stärkere Züge des Altkirchenslavischen aus.

1.3. Die Entstehung der Schriftsprache. Das Wirken von Promoš Trubar (1508-1586)
Bis ins 16. Jahrhundert hinein sind keine relevanten Aufzeichnungen in slovenischer Sprache bekannt. Das geistige Leben war - wie bereits gesagt - von der deutschen Sprache geprägt. Slovenisch war die Sprache der ungebildeten Bauern, sie galt als unliterarisch. Nur die niedere Geistlichkeit sprach slovenisch. Interessant wurde die Sprache erst im Zusammenhang mit der Verbreitung des Protestantismus. Die Bewegung, die sich von Deutschland her ausbreitete, fiel in eine Zeit heftigster Angriffe durch die Türken und brutaler Unterdrückung von Baueraufständen. Jedoch bot die protestantische Bewegung die Möglichkeit, kirchliche Schriften in slovenischer Sprache herauszubringen. Primoš Trubar - Bauernsohn und Geistlicher - ließ 1550 in Tübingen die ersten Bücher in slovenisch drucken - den Katechismus und eine Fibel. Dazu hatte mit Freunden eine Rechtschreibung geschaffen. Er nutzte zunächst die glagolitische Schrift, später dann die lateinische. Er gab Evangelien, Predigten, Kirchenlieder heraus. Zu dieser Zeit wurde auch die Bibel ins Slovenische übersetzt.
Mit dem Erstarken der katholischen Kirche wurde diese Entwicklung unterbrochen, die Errungenschaften Trubars gerieten in Vergessenheit. Daran änderte auch die Gründung der Universität in Ljubljana nichts.

1.4. Das Erwachen eines nationalen Bewusstseins und die Entwicklung der nationalen Literatur
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden allmählich auch Regierungsanordnungen in slovenische Sprache übersetzt. Ursache dafür war das Bestreben Maria Theresias, das Lateinische als Amtssprache zurückzudrängen. Zugleich entwickelte sich die Auffassung, dem slovenischen Volk ein Recht auf ein eigenständiges nationales kulturelles Leben zuzubilligen. Die slovenische Sprache sollte eine Literatursprache werden. Da die meisten Schreibenden Geistliche waren, übersetzten sie kirchliche Schriften, schrieben Gedichte nach Volksliedern oder nach deutschem Vorbild, verfassten moralisierende und belehrende Bücher. Die entstandenen Werke sind von historischer Bedeutung, gingen künstlerisch nicht über einen "wohlgemeinten Dillentantismus" (Barac) hinaus. Von einer eigenständigen slovenischen Literatur kann erst im 19. Jahrhundert gesprochen werden. Dann entstanden erstmals Werke, die sich nicht mehr ausschließlich an europäischen Vorbildern orientierten.

2. Entwicklung der kroatischen Literatur von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert


2.1. Anfänge der kroatischen Literatur
Im 10. Jahrhundert entwickelte sich Kroatien vom Fürstentum zum Königreich. Es bestand bis 1102, als es die ungarische Krone anerkannte. Auch Kroatien war also seit dem Mittelalter kein eigenständiger Staat mehr, verfügt jedoch aufgrund bestimmter Besonderheiten, auf die ich noch eingehen werde, über die kontinuierlichste Entwicklung der Literatur.
Infolge des Wirkens von Kyrill und Metod und deren Schüler übernahmen die Kroaten die kirchenslavische Sprache und die glagolitische Schrift. Die ersten überlieferten Schriftdenkmäler stammen aus dem Ende des 11. Jahrhunderts. In dieser Literatur entstanden kirchliche Gebrauchsschriften wie Messbücher, Gebetssammlungen, Kirchenlieder usw. Die Kunst des Abschreibens war weit verbreitet, so dass eine große Zahl handschriftlicher Bücher existierte. Das erste gedruckte glagolitische Messbuch erschien 1483. Jedoch wurde die Verwendung der Volkssprache in der Kirche verboten. Durch den Widerstand vieler Geistliche, glagoljaši genannt, blieb das Glagolitische zum Teil bis heute erhalten. In Bücher mit mehr weltlichem Charakter drang in das Kirchenslavische die Volkssprache ein. Es handelt sich um Übersetzungen bzw. Überarbeitungen europäischer Literatur. Diese europäische Ausrichtung bedingte auch, dass seit dem 14. Jahrhundert die lateinische Schrift genutzt wurde.

2.2. Die Literatur in Dubrovnik
Charakteristisch für die weitere Entwicklung der kroatischen Literatur ist deren Aufspaltung. Zu Kroatien zählte auch das Küstenland Dalmatien, z. Beispiel die Hafenstadt Dubrovnik.
Obwohl Kroatien und Dalmatien nicht unter türkische Herrschaft gerieten, befand sich dieses Gebiet in einen fast ununterbrochenen Kriegszustand. Von einer systematischen literarischen Tätigkeit konnte daher keine Rede sein. Die Lage änderte sich, als Dalmatien unter venezianische Herrschaft geriet. In Dubrovnik/Ragusa bewahrte man sich eine relative Selbständigkeit. Hier konnte sich eine europäische Kultur mit all seinen Vorzügen und Eigenarten entwickeln. Gekennzeichnet war sie durch ein ständiges Spannungsfeld zwischen italienischen und kroatischen Einflüssen. Da es Dubrovnik verstand, seinen Frieden zu bewahren und nach außen hin zu verteidigen, erreichte es im 17. Jahrhundert seine größte Blüte. Abgeschwächt wurde diese Entwicklung durch die allmähliche Verlagerung der Handelswege sowie das Erdbeben im Jahre 1667, das einen großen Teil der Stadt zerstörte.
Als größter Dichter dieser Zeit gelten Ivan Gundulic (1589-1638) für das 17. Jahrhundert - sein umfangreichstes Werk ist das Epos "Osman" - und Ignjat Djordjic für das 18. Jahrhundert.

2.3. Die Entwicklung der Literatur im engeren Kroatien
Außerhalb Dubrovniks entwickelte sich die kroatische Literatur mit dem Vordringen der protestantischen Bewegung. Es entstand die kroatische kajkavische Literatur. Infolge der geringen Zahl von Lesekundigen konnte sie sich jedoch nur langsam ausbreiten. Da sie jedoch die Alltagssprache des "politischen" Kroatiens war, blieb sie erhalten und wurde dann als kroatische Sprache bezeichnet - im Gegensatz zur "slavonisch-illyrischen Sprache", dem štokavischen Dialekt dieser Region.
Es gab auch andere Varianten. So schrieben die Angehörigen der Adelsfamilie um Petar Zrinski (1621-1671) in einem Gemisch verschiedener Dialekte. Zrinski war seit 1665 Banus von Kroatien - also weltlicher Herrscher. Er versuchte eine Verschwörung gegen die Habsburger Monarchie, wofür er zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
In diesem Zusammenhang will ich auf seine Frau verweisen, da Frauen ja doch ausgesprochen selten in die Literaturgeschichte eingehen.

2.4. Ana Katerina Zrinska (um 1625-1673)
Sie erhielt eine gute Ausbildung, sprach mehrere Sprachen und unterstützt ihren Mann bei dessen Bemühungen um die Unabhängigkeit Kroatiens, indem sie auf diplomatischer Ebene um Unterstützung bittet. Nach dem Scheitern des Aufstandes wird sie in ein Kloster gesperrt. Sie veröffentlichte ein Werk, Es heißt "Putni tovaruš" und erschien 1661. 1687 und 1715 erlebte es noch zwei Auflagen. Die "Reise" ist nicht als räumlich-geographische gedacht. Katerina ging von der mittelalterlichen Vorstellung aus, das Leben des Menschen sei eine Reise. Das Buch besteht im Wesentlichen aus einem Kalender mit Belehrungen sowie Gebeten zu den verschiedensten Anlässen (Morgen- und Abendgebete, Bittgebete und Danksagungen, Gebete zu verschiedenen Schutzengeln und Heiligen, Psalmen).
Warum Katerina Zrinska ausgerechnet solch ein Buch hervorbrachte, hat verschiedene Ursachen: Zum einen entsprach es dem Zeitgeist, erbaulich - belehrende Werke zu verfassen, die zudem als ungefährlich galten, zum anderen hatten Frauen in dieser Zeit keine andere Möglichkeit als die, sich mit religiöser Dichtung zu befassen, die weltliche war bis ins 19. Jahrhundert den Männern vorbehalten. Sie schrieb das Buch, wie sie selbst äußerte, weil sie etwas nützliches tun wollte und weil es so wenig Bücher in kroatischer Sprache gab. Nach ihren eigenen Angaben übersetzte Katerina die Gebete aus dem Deutschen, jedoch konnte bis heute keine direkte Quelle gefunden werden.

3. Die serbische Literatur bis zum 19. Jahrhundert

3.1. Die serbische Literatur des Mittelalters
Am fruchtbarsten entwickelte sich im Mittelalter die Literatur der Serben. Ursache dafür war die Existenz eines serbischen Staates unter der Herrschaft der Dynastie der Nejmaniden. Jedoch geriet Serbien am Ende des 14. Jahrhunderts unter die Herrschaft der Türken, ebenso wie die Gebiete Zeta (Montenegro), Bosnien und die Hercegovina.
Die Grundlage der damaligen Schriftsprache bildeten kirchenslavische Texte, die vorwiegend über das Königreich Bulgarien nach Serbien gelangten. Die glagolitiasche Schrift wurde wie dort durch die kyrillische ersetzt. Die Geistlichen der orthodoxen Kirche - die im Gegensatz zur katholischen eine Nutzung der Volkssprache billigte - waren Serben. In serbischer Sprache literarisch tätig waren sowohl Mönche als auch Angehörige der Herrscherhäuser. Es entstanden philosophische, moralisierende und rhetorische Werke, Hagiographien, Legenden und Apokryphen. Infolge des großen Einflusses der Kirche wurde die auf altkirchenslavischer Grundlage basierende Sprache beibehalten, die lebendige Umgangssprache konnte nicht in dieses Schrifttum eindringen. Die mittelalterliche serbische Literatur beschränkte sich im Wesentlichen auf Übersetzungen. Übertragen wurden die Werke der byzantinischen Literatur, auch der weltlichen, wie der Alexander-Roman.

3.2. "Die Lebensbeschreibung des Despoten Stefan Lazarevic"
Als eigenständige literarische Gattung entwickelte sich die Lebensbeschreibung serbischer Könige und kirchlicher Würdenträger, die heute als kirchliche und historische Quellen genutzt werden können.
Eine dieser Biographien, "Die Lebensbeschreibung des Despoten Stefan Lazarevic" wurde von Maximilian Braun ins Deutsche übersetzt. Dieser letzte serbische Herrscher Stefan war selbst Schriftsteller. Von ihm ist ein "Lied an die Liebe" (Slovo ljubavi) überliefert. Die Beschreibung seines Lebens verfasste ein aus Bulgarien geflohener Gelehrter, Konstantin der Philosoph, 1431. Sie gehört zu den wichtigsten Quellenwerken des slawischen Südens jener Zeit, weil der Text weit über eine Lebensbeschreibung hinausgeht und viele chronologische Angaben gemacht werden. Allerdings ist der Stil schwülstig und daher schwer lesbar. Den Biographen muss von Ausnahmen abgesehen der Vorwurf der Phrasenhaftigkeit, Schmeichelei und Heuchelei gemacht werden. Ein Zitat: "...der gottesfürchtige König Uroš ließ seinen geliebten Sohn blenden..." Mit dem Zerfall des serbischen Königreiches schrumpften auch die Möglichkeiten literarischer Tätigkeit. Zwar entstanden Ende des 15. Jahrhunderts Druckereien, doch kam nach der endgültigen osmanischen Besetzung die schöpferische literarische Tätigkeit zum Erliegen.
3.3. Die Erneuerung der serbischen Literatur im 18. Jahrhundert
Erst im 18. Jahrhundert änderte sich das wieder. Die Erneuerung der serbischen Literatur erfolgte jedoch unter ganz anderen Voraussetzungen, denn sie wurde nicht mehr von Klerikern und Angehörigen der höchsten Schichten, sondern von den nach Ungarn geflüchteten Serben gepflegt. Zunächst begannen ebenfalls geflohene Mönche mit der Verbreitung kirchlicher Schriften. Es gab Gelehrte serbischer Nationalität mit einer hervorragenden europäischen Bildung, die um die Bildung und Aufklärung der serbischen Bevölkerung bemüht waren, wozu sie auch literarische Gattungen (Lyrik, Fabeln) zu Hilfe nahmen. Die Literatur wurde in einer als "slaveno-serbisch" bezeichnet Sprache der Kirche verfasst, die nur von gebildeten Schichten verstanden wurde. Da aber die Kirche die wichtigste moralische und kulturelle Kraft war, blieb sie bis weit ins 19. Jahrhundert erhalten.

4. Die Volksdichtung

4.1. Ursachen der Entstehung und Bedeutung der Volksdichtung
Warum hat die Volksdichtung eine so große Bedeutung für die Entwicklung der südslavischen Literaturen, dass in einem gesonderten Abschnitt über sie gesprochen werden soll?
Über viele Jahrhunderte hinweg war die schriftlich fixierte Literatur an die Kirche, den gebildeten Adel oder Gelehrte gebunden. Die Mehrzahl der Bevölkerung war schriftunkundig und kam mit dieser Literatur allenfalls mittelbar in Berührung. In den türkisch besetzten Gebieten überhaupt nicht. Gerade dort aber gedieh die Volksüberlieferung und wurde zu einer schöpferischen Tradition. Es entstanden epische und lyrische Volkslieder, Rätsel, Sprichwörter. Volksdichtung entstand in allen Gebieten und drang sogar bis in die Städte vor. Sie blieb also nicht unbemerkt. In Dalmatien war sie im 16. Jahrhundert sogar Gegenstand gelehrter Diskussionen. Gesammelt und herausgegeben wird sie seit dem 18. Jahrhundert, wobei vor allem die Romantik ein besonderes Interesse an dieser Dichtung hatte. Der erste und bedeutendste Sammler serbischer Volkslieder war Vuk Karadžic, über den noch zu sprechen sein wird.

4.2. Die Genres der Volksdichtung
Das wichtigste Genre der Volksdichtung ist zweifellos das Lied. Man unterscheidet zwischen lyrischem und epischen Lied. Lyrische Lieder sind jedoch nicht nur lyrisch, indem sie von Liebe oder Frühlingserwachen handeln. Gemeint sind hier Lieder, die zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten gesungen wurden - bei der Arbeit oder in Gesellschaft, auf Hochzeiten, Beerdigungen usw. Es gab regional spezifische Formen wie die Sevdalinka in Bosnien und der Hercegovina. In diesem Gebiet, das am meisten den orientalischen Sitten unterworfen warf, wurde in diesen Liedern schwere Los der Frauen besungen.
Das lyrische Volkslied ist untrennbar mit einer Melodie verbunden, es wird von Einzelnen oder einer Gruppe gesungen. Im Gegensatz dazu hat beim epischen Volkslied, das von einem Barden (einem professionellen Sänger) vorgetragen wird, die Melodie keine eigenständige Bedeutung. Hier ist vor allem das epische Moment, das erzählte Geschehen von Bedeutung.
Diese Lieder, die über die Jahrhunderte weitergegeben und modifiziert wurden und so auch zu einer ausgefeilten künstlerischen Form fanden, sind natürlich wesentlich nationaler als die Dichtung der Renaissance oder des Barock. Sie umfassten das nationale Leben in all seinen Phasen und wichtigsten Gestalten.
Viele Lieder sind dem Zusammenprall der beiden Religionen - des Islam und des Christentums - dem Kampf der Slaven gegen die Türken gewidmet. Beginnend bei der Schlacht auf dem Amselfeld bis zu den Balkankriegen 1912, waren die Helden, die in den Liedern verehrt und idealisiert wurden, Kämpfer gegen die Türken. Könige und Aristokraten wurden dabei genauso verherrlicht wie die Hajduken - die Räuber. Im Laufe der Zeit wurden diese Helden immer mehr zu literarischen Gestalten, die mit ihren historischen Vorbildern nur noch wenig gemein hatten. Die Besonderheiten, künstlerische Gestaltung vieler Lieder erregten die Aufmerksamkeit vieler Forscher. Von den Deutschen sind hier die Brüder Grimm zu nennen, die
Von Johann Wolfgang Goethe stammt die Nachdichtung der "Hasanaganica", die er als "Klaggesang der edlen Frau des Asa Aga" unter Wahrung der rhythmischen, metrischen, sprachlichen und stilistischen Eigenheiten schrieb.

4.3. Bosnische Literatur
Bosnien war bis zu Eroberung durch die Türken ein eigenständiges Königreich.
Die Türken vernichteten fast alle Denkmäler der bosnischen Kultur, vernichteten und verfolgten die andersgläubige Bevölkerung. Der bosnische Adel trat zum Islam über.
Bosnien bildete immer eine Art Puffer zwischen Orient und Okzident, es kreuzten sich dort die römischen und byzantinischen Einflüsse. Es wurde die kyrillische Schrift verwendet, aber im Unterschied zu Serbien hatte das Lateinische einen großen Einfluss. Die existierenden bosnischen Urkunden weisen nur eine geringe Abhängigkeit von Altkirchenslavischen aus.
Infolge des großen Einflusses der Bogomilen fanden Apokryphen eine weite Verbreitung.
Im 17. Jahrhundert gibt es im Zusammenhang mit dem Ausbreiten des Katholizismus Schriften im štokavischen Dialekt und kyrillischer Schrift, die zum Beispiel von dem Franziskanermönch Matija Dirkovic (1563-1631) verfasst wurden.
Charakteristisch für Bosnien (und die Hercegovina) ist die so genannte Sevdalinka. Das Wort stammt aus dem Arabischen und gelangte über das Türkische in den südslavischen Sprachraum. Es bedeutet Liebessehnsucht, -verlangen, Trennung und Enttäuschung.