Frauenliteratur und Frauenbild: Beispiel Jurij Trifonov

Es ist jetzt allgemein üblich, unter "Frauenliteratur" Literatur von Frauen zu verstehen. In seinem Aufsatz "Utopien vom 'anderen Leben'. Sowjetische Frauenliteratur zwischen Faktographie und Fiktion (Russische Sprache und Literatur der Gegenwart in Unterricht und Forschung. Hamburg 1982 (= Hamburger Beiträge, 28), S. 177 196.) plädiert Jochen-Ulrich Peters dafür, Texte von Männern und Frauen der sowjetischen Frauenliteratur zuzurechnen, "sofern in ihnen die Situation der Frau am Arbeitsplatz und im privaten Bereich sowie ihr Versuch, sich mit ihrer Frauenrolle kritisch auseinanderzusetzen, eigens thematisiert wird" (181). Diese Bestimmung hat für ihn den Vorteil, dass die sowjetische Frauenliteratur nicht an den Standards der westlichen gemessen wird und keine spezifisch weibliche Ästhetik unterstellt wird. Daher analysiert er neben Baranskajas Erzählung "Nedelja kak nedelja" Jurij Trifonovs Povest' "Drugaja žizn'" und den Roman "Južnoamerikanskij variant" von Sergej Zalygin.

Peters betont die Gemeinsamkeiten im thematischen Bereich, jedoch muss die Frage gestellt werden, ob die Unterschiede im Frauenbild, die bei den männlichen Autoren angestrebten Verallgemeinerung nicht diese Gemeinsamkeiten überbieten.

Zunächst Trifonov: Meines Erachtens ist es weniger die Darstellung der Frauensituation, die Trifonov in die Nähe der thematisch Frauenliteratur geraten lässt, sondern seine Gestaltung des Alltags. Trifonov hat als erster (namhafter) Autor dem banalen Alltag (byt) in der Großstadt eine eigenständige literarische Gestaltung zuerkannt. In den sechziger Jahren mit den drei "Moskovskie povesti", in den siebziger Jahren noch einmal mit dem vorhin genannten "Drugaja žizn'". Frauen sind jeweils wichtige Figuren - als Ehefrauen der Helden. D.h. sie haben keine unabhängige Bedeutung. Besonders in "Drugaja žizn'" wird deutlich, dass die Frau sich selbst nur in Bezug auf ihren Mann definiert (und alle Frauen in ihrer Umgebung als Konkurrentinnen betrachtet).

Aber noch etwas anderes unterscheidet seine Darstellung von den Texten der Frauen: Obwohl Trifonov die Verankerung seiner Figuren im "Byt" betont, dient ihm die Darstellung des Alltags für "höhere" Fragestellungen. Diese werde vor allem durch den permanenten Bezug zur Geschichte realisiert, die nicht als private Vergangenheit des einzelnen Menschen erscheint.

Bei der Einschätzung der Frauengestalten bei Trifonov gibt es große Unterschiede. Dem positiven Urteil bei Peters stehen kritische Einschätzungen von Christine Müller-Scholle (Das Bild der Frau in der zeitgenössischen russischen Prosa. In: Zeitschrift für slavische Philologie. Band XLVIII / 1988, S. 327 371) und Elsbeth Wolffheim (Die alte Moral. Frauenbilder in der neueren sowjetischen Epik. In: Festschrift für Georg Mayer. München 1991, S. 219 236) gegenüber. Letztere bezeichnet Trifonov gar als "misogyn" (233). Zwar sind bei diesem Autor die meisten Figuren differenziert gestaltet (es gibt keine eindeutig positiven oder negativen Gestalten), aber die Frauen sind diejenigen, die sich an das System angepasst haben. Sie erscheinen als "Inkarnation des Zeitgeistes" (Müller Scholle, 239). Die Protagonisten hingegen versuchen dem zu entgehen. Im besten Fall erscheinen sie als jedoch als "sittliche" Menschen.

Im Fall von "Drugaja žizn'" erscheint mir als entscheidende Differenz zur Frauenliteratur die emotionale Abhängigkeit der Frau vom Helden zu sein sowie deren vom Gefühl der Konkurrenz (und nicht der Solidarität wie etwa in "Nedelja kak nedelja") bestimmtes Verhältnis zu anderen Frauen.

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