Kleiner Exkurs zum Feminismus und zur feministischen Literaturwissenschaft

Zur Theoriebildung in der feministischen Literaturwissenschaft

Die feministische Literaturwissenschaft entwickelte sich als Folge einer sich etablierenden Frauenliteratur, im Zusammenhang und unter dem Einfluss der allgemeinen feministischen Theoriebildung. Es erscheint sinnvoll, zwischen einer feministischen Literaturwissenschaft und einer allgemeinen feministischen Literaturtheorie zu unterscheiden. Wohl allem deshalb, weil sich letztere sehr aus anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen "rekrutiert".

Die feministische Literaturwissenschaft, die inzwischen als eine Richtung innerhalb der modernen Literaturtheorien anerkannt ist [1] , begann (in der Bundesrepublik Deutschland) ihre Entwicklung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Das kritische Interesse von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen galt zunächst - neben der Literatur von Frauen - den stereotypen Weiblichkeitsbildern in der Literatur männlicher Autoren. Es wurde ein Untersuchungsparadigma begründet, "das in variationsreicher Begrifflichkeit stets als Paar auftritt: Heldin und Autorin, gestaltete und gestaltende Frauen ... Frauenbilder und Frauenliteratur."[2] Daraus ergab sich das große Arbeitsprojekt der - immer wieder verschwiegenen und verdrängten - weiblichen literarischen Tradition, wobei es nicht nur um eine Komplettierung der Literaturgeschichte ging, sondern die Veränderung, die "Relektüre der Regeln des literarischen historischen Diskurses"[3].

Bei dieser Relektüre wurde auch festgestellt, dass tradierte wissenschaftliche Methoden für die Analyse von Literatur weiblicher Autoren nicht geeignet waren, da sie fast immer zu einer Unterbewertung, zu einer negativ-abschätzenden Wertung führten. Die feministische Literaturwissenschaft sieht die Ursache dafür in dem von männlichen Maßstäben geprägten, aber als allgemein gültig gesetzten Literaturbegriff. Es geht um den Anspruch sogenannter "hoher" Literatur, "universelle Wahrheiten darzustellen in einer künstlerischen Form, deren Reinheit, Meisterschaft oder Genialität den Stoff von allem Subjektiven und Interessengeleiteten geläutert und ihn ins Exemplarische, Allgemeinmenschliche erhoben zu haben".[4]

Die Suche nach neuen Möglichkeiten "jenseits der etablierten Ästhetik" (Weigel) fand aber in einer Zeit statt, als "der Glaube an Fortschritt und Emanzipation und damit an Geschichte als kontinuierlichen Prozeß" ins Wanken geriet. [5] Dadurch kam es auch in der feministischen Literaturwissenschaft zu einem Paradigmenwechsel, der in den achtziger Jahren "von angloamerikanischen zu französischen und von soziohistorischen zu poststrukturalistischen Theoriemodellen" erfolgte.[5] Die feministische Theoriebildung in der Literaturwissenschaft vollzog sich also über die Gebiete des Strukturalismus und Poststrukturalismus sowie der Psychoanalyse. Daher geht Lena Lindhoff, wenn sie einen Überblick über die Entwicklung gibt, weit über die eigentliche Literaturwissenschaft, die Literaturgeschichte und -kritik hinaus.

Am Beginn ihres Buches stehen zwei Frauen - die literarische Figur der Nora (aus dem Drama von Ibsen) und die reale Gestalt der Hysterikerin Dora (die Freud beschrieben hat), die auf zwei mögliche Seiten des Frau-Seins verweisen. Infolge der Erkenntnis, dass sich die Probleme lediglich durch eine (wie auch immer geartete) Emanzipation nicht lösen lassen, stehen jetzt Emanzipation und Stärke - Krankheit und Verweigerung gegenüber. Sie sollen jedoch nicht gegeneinander gestellt werden. Das Ziel einer Theoriebildung kann Lena Lindhoff zufolge nur die Konstitution einer Subjektivität sein, die sich ihrer Konstruiertheit bewusst ist und "offen bleibt für unterschiedliche Sinnmöglichkeiten der Bestimmung von Frauen." (XII)

Für den Beginn der modernen feministischen Theorien steht hier wie in den meisten Arbeiten Simone de Beauvoir, die mit ihrem Buch "Le Deuxieme Sexe" ("Das andere Geschlecht", 1949) die Differenz als wichtigste Grundlage des Verhältnisses zwischen Mann und Frau begründet und damit wesentliche Begriffe zur Geschlechterdifferenz geprägt hat, wie das Eine/das Andere, Transzendenz/Immanenz und andere. Die Überwindung des dualen Gegensatzes Mann-Frau erscheint bei Beauvoir nur möglich durch eine Angleichung der Frau an den Mann, da dieser das Universale, Allgemeinmenschliche verkörpert.

"Die Selbstverwirklichung der Frau läuft bei ihr auf eine Überwindung des Frau-Seins hinaus." (7)

Diese Auffassung ist nicht auf Simone de Beauvoir beschränkt, sondern findet sich generell am Anfang feministischer "Lösungssuche" und weist deutlich die Merkmale herkömmlicher Philosophie auf.

Da die europäische feministische Literaturtheorie wie gesagt vom Postrukturalismus und der Psychoanalyse beeinflusst wurde, unterzieht Lena Lindhoff die darauf aufbauenden Vorstellungen der drei feministischen Theoretikerinnen Julia Kristeva, Hélène Cixous und Luce Irigaray einer kritischen Analyse.

Julia Kristeva entwickelte aufbauend auf Lacan die Theorie vom Symbolischen und Semiotischen. Dabei beruht die symbolische Ordnung auf der kommunikativen Funktion der Sprache, in der das Signifikat, die Bedeutung gegenübersteht. Dem Symbolischen steht das Semiotische gegenüber, in dem der Signifikant (Klang, Rhythmus) von Bedeutung ist. Das Symiotische unterliegt dem Einfluss des symbolischen Gesetzes. Die Literatur ist die Instanz, die eine ständige Erneuerung des Symbolischen durch das Semiotische praktiziert. Eine neue Qualität wird dabei durch die Avantgarde-Literatur erreicht.

In Kristevas Untersuchungen von literarischen Texten kommt jedoch keine einzige Frau vor. Für sie gibt es keine spezifische weibliche Schreibweise. Im Gegenteil: sie sieht bei Frauen Defizite: zum Beispiel die mangelnde Kenntnis von Signifikanten und ein Desinteresse an der Komposition [7] . Lindhoff zieht daher einen Vergleich zwischen Julia Kristeva und Simone de Beauvoir, die sich beide über eine männliche Tradition definieren. Es gibt (nach wie vor) nur eine Subjektivität, eine Sprache, einen Maßstab zur Bewertung von Kunst.

Wie Derrida bestimmt Julia Kristeva das Weibliche als das Unbestimmbare überhaupt. Frauen dürfen daher keine eigene Subjektivität fordern. Sie erscheint daher als Meisterschülerin, die das Weiblichkeitskonzept ihrer Lehrer übernimmt. Hinzu kommen "eine hermetisch elitäre Terminologie, eine Abstraktion vom eigenen Geschlecht und eine Tendenz zum Verschweigen ihrer geistigen 'Mütter'." (120)

Die Theorie Kristevas konnte auch noch nicht überzeugend auf das Schreiben von Frauen angewandt werden.

"Statt den Frauen wie Kristeva eine 'solide Position innerhalb des männlichen 'Symbolischen' zu verordnen, von der aus sie dann ihr weibliches Subversionpotenzial einbringen dürfen, müsste eine feministische Literaturtheorie Kristevas Bestimmung aufnehmen, ohne es mit dem 'Weiblichen' zu identifizieren und dem 'männlichen' 'Symbolischen' entgegenzustellen. An die Stelle dieser vertrauten dualen Aufspaltung könnte der Versuch treten, beide, das 'Semiotische' und das 'Symbolische' geschlechtlich differenziert zu denken." (121)

Einen anderen Weg geht die Schriftstellerin Hélène Cixous, die ausgehend von den Ideen Derridas, wonach das abendländische Wissenssystem auf binäre, hierarchisch geordnete Oppositionen beruht, darin den immerwährende Legitimationsversuch männlichen Herrschaftsanspruches sieht. Als Alternative zur männlichen Angst vor Identitätsverlust, der das Besitzen und Einverleiben des Anderen erforderlich macht, soll die wechselseitige Anerkennung zweier unterschiedlicher Subjekte treten. (123)

Anstelle eines "universalen" Maßstabes tritt bei Cixous eine genaue Vorstellung vom weiblichen Schreiben: offene Subjektivität und liebender Bezug zum anderen, nicht Einverleben, sondern Geben, kein festgelegter Sinn, sondern neue Sinnmöglichkeit, Überfluss an Sprache und anderes mehr. (124)

Eine solche genaue Vorstellung darüber, wie "weibliche" Texte auszusehen haben, führt folglich zur Ausgrenzung einer großen Zahl von Texten, die diesen nicht entsprechen.

Lena Lindhoff sieht das Problematische der Theoriemodelle von Kristeva und Cixous vor allem in deren Forderung, dass Frauen nicht versuchen sollten, sich schreibend ihrer eigenen Geschichte und Subjektivität zu vergewissern. Beider Vorschläge (sowohl Subversion der männlichen Ordnung oder unendliche Entäußerung ans Andere) erscheinen letztlich unbefriedigend. (128)

Andere Denkmöglichkeiten eröffnet die von Luce Irigaray und anderen vertretenene Auffassung von der Geschlechterdifferenz.

Die Psychoanalytikerin und Philosophin versucht eine Revision der abendländischen Geschichte, zeigt sie als Verabsolutierung männlicher Subjektivität und Sexualität, die auf einer Ausbeutung und Ausgrenzung des Weiblichen beruht.

Eine Dekonstruktion der Geschlechterdifferenz kann es nicht geben, solange die weibliche Seite der Differenz nicht vorhanden ist. Die einzige Möglichkeit für die Frau, sofern sie nicht den männlichen Diskurs übernehmen will, besteht darin, diese Diskurse zu durchqueren und versuchen, ihren eigenen Ort zu rekonstruieren. Anstelle eines universalen, männlichen Subjektes tritt ein zweifaches, geschlechtlich differenziertes Symbolisches, das der weiblichen Erfahrung Rechung trägt. (133) Um das Weibliche zu symbolisieren genügen willkürliche und individuelle Schöpfungen nicht. Irigaray sucht nach dem Unbewussten noch jenseits des patriarchalischen Unbewussten und findet Körperöffnungen. Der Versuch, der poststrukturalistischen Nicht-Subjektivität zu entgehen und am feministischen Programm weiblicher Subjektivität festzuhalten, führt anstelle alter Zuweisungen zu neuen. Wenn bestimmte Eigenschaften als männlich zurückgewiesen werden, beraubt sich die Frau einer lebbaren Alternative zu der patriarchalischen Rollenzuweisung.

Irigarays Vorstellung, ein weibliches Symbolisches würde neue Beziehungen von Frauen - die sich bisher nur in Bezug auf einen Mann gesehen haben - untereinander ermöglichen, erfährt eine Fortsetzung bei italienischen Feministinnen. Diesen geht um die Nutzung von Differenzen - im Wissen, Kompetenz, Autorität einzelnen Frauen. Dies ist erforderlich, weil in der westlichen Kultur Beziehungen von Frauen nicht geregelt sind und sich daher auf einem vorkulturellen Stand befinden, welches von undifferenzierten Wir-Gefühlen, zugleich aber Neid, Konkurrenz und Raub geprägt ist. Anstelle des bisher allein vorhandenen männlichen Identifikationsmuster soll ein Beziehung von zwei Frauen treten - aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen, Wissen usw. eine Art Mutter-Tochter-Beziehung. Wiederum eine Festlegung der weiblichen Interaktion, meint Lindhoff, zugleich wird die Programmatik - die Konstitution einer weiblichen Interaktion und Sprache - nicht eingelöst.

Dekonstruktion und Feminismus

Differenzen, zu denen auch die Geschlechterdifferenz gehört, müssen überwunden werden. Aber, wie Lindhoff schreibt, bedarf eine kulturelle Veränderung nicht der Eliminierung, sondern der Enthierarchisierung der Geschlechterdifferenz. (104) Was sie hier und an anderen Stellen immer einfordert - nämlich nicht die Stelle alter Festschreibungen neue zu setzen - ist eine Ursache dafür, warum die verschiedenen Theorie letztlich unbefriedigt lassen. Keine ontologische Gültigkeit mehr, sondern Konstruktionen und Entwürfe, die "historischen Erfahrungen Rechung tragen und offen bleiben für Veränderung". (Ebenda)

Aber gerade Veränderungen erscheinen unter den vorhandenen Gegebenheiten nicht oder kaum möglich. Jedoch verfügt eine dekonstruktive Lektüre über Möglichkeiten, die eine herkömmliche Analyse nicht hat, vor allem eine scheinbar geschlossene Bedeutung zu öffnen und dabei verdeckte Komplexität und Widersprüchlichkeit aufzudecken.

Wenn feministische Theoretikerinnen wie Kristeva, Cixous und Irigary in verschiedener, auch kritischer Weise der Verbindung von Psychoanalyse und Postrukturalismus folgen, wie sie Jaques Lacan in seiner Theorie vorgegeben hat, so übernehmen sie auch dessen Dogmen, vor allem die ausschließlich männliche Perspektive, die zugleich eine Subjektlosigkeit der Frau evoziert.

Lacans Synthese von struktureller Textanalyse und psychoanalytischer Interpretation (86) ist anwendbar auf traditionell geschriebene Texte mit einer männlichen Perspektive, aber nicht zu universalisieren.

Als vorläufiges Fazit schreibt Lindhoff: "Die soziohistorischen Ansätze der feministischen Literaturwissenschaft leiteten aus der Kenntnis des Ausschlusses der Frau aus der kulturellen Ordnung die Forderung nach einer Gleichberechtigung innerhalb dieser Ordnung ab. Die poststrukturalistischen Ansätze dagegen fragen, inwiefern der Ausschluß des Weiblichen konstitutiv ist für die Hervorbringung dieser Ordnung selbst. Ihre Forderungen sind daher einerseits daher einerseits tiefgreifender - sie zielen auf eine Dekonstruktion des kulturellen Systems überhaupt - andererseits folgenloser: sie richten sich in erster Linie auf eine neue sprachliche Praxis, lassen die gesellschaftliche aber unangetastet." (172)

Sigrid Weigel spricht von der "Hoffnung auf Möglichkeiten weiblichen Schreibens jenseits der etablierten Ästhetik", die die Rezeption der Schriften von Kristeva, Irigaray und Cixous beförderten. Cixous und teils auch Irigaray gestalteten einen Entwurf, "der in einer Positivierung des Weiblichen dieses mit dem Fließenden, Flüssigen, Uneindeutigen, Nichtgreifbaren, Diskontinuierlichen etc. gleichsetzt", während Kristeva zwar das Konzept einer neuen poetischen Praxis entwickelt, Frauen darin aber nicht findet.("Geschlechterdifferenz", 684)

Gender-Studies

Die überwiegend in den USA entwickelten "Gender-Studies" hat Lena Lindhoff nichts berücksichtigt. In diesen wird das Geschlecht nicht mehr nur als biologische, sondern als sozial-kulturell konstruierte Kategorie betrachtet. "Das Konzept gender und die Anführungszeichen bei Wörtern wie >Mann<, >Frau<, >männlich<, >weiblich<, markieren die zugrundeliegende Überlegung, daß es keine natürlichen, angeborenen, geschlechtsspezifischen Eigenschaften von Mann und Frau gibt, sondern immer nur kulturspezifische Zuschreibungen von Rollen und Verhaltensstereotypen, die historischen Veränderungen unterliegen. Auch sind Mann und Frau keine voneinander unabhängigen Kategorien, sondern bedingen sich gegenseitig.

Schwierigkeiten einer feministischen Literaturwissenschaft

Obwohl das Buch "Einführung in die feministische Literaturtheorie" heißt, ist von Literatur und Literaturwissenschaft im Wesentlichen nur im ersten Kapitel die Rede, wenn es um die Neu-Sicht auf die in der Literatur vorhandenen Weiblichkeitsbilder sowie die Aufarbeitung einer weiblichen Schreibtradition geht. Psychoanalytische und Postrukturalistische Theorie lassen sich für die Analyse einzelner Texte seht gut nutzen, aber eben nur für ganz bestimmte, die auch immer wieder aufgerufen werden. Die weitaus größere Zahl von Texte bleibt unberücksichtigt.

Das "zweite Dilemma": es gibt keine eine gültige Methode für die Analyse von Frauentexten.

Sigrid Weigel schreibt in "Geschlechterdifferenz und Literaturwissenschaft" zunächst über die Gefahr, in die durch die Existenz einer feministischen Wissenschaft deren Gegenstand gerät. Frauen werden "erneut zum Sonderfall eines ansonsten angeblich neutralen Diskurses... reproduziert damit eine tradierte Geschlechterordnung, in der der Mann das Allgemeine repräsentiert und Frauen einer besonderen Behandlung bedürfen." (677)

Und dennoch hat die feministische Literaturwissenschaft Bedeutendes/Wesentliches geleistet. (Eine Erkenntnis aus der Geschichte weiblicher Autoren war der Widerspruch zwischen dem Bemühen, Autor zu werden, und das Werk von sich abzutrennen)

Im folgenden geht es um die Wechselbeziehungen in der Entwicklung zwischen der sozialen Stellung der Frau, der Frauenliteratur, der allgemeinen feministischen Theoriebildung und der feministischen Literaturwissenschaft, auch unter dem Aspekt der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den zwei Gesellschaftssystemen der entwickelten Industriestaaten.

Zur Entwicklung der Frauenliteratur

Simone de Beauvoir kritisierte das Frauenbild männlicher Autoren. Von Frauen geschriebenen Texte bezeichnete sie jedoch als mittelmäßig, weil es ihnen nicht gelänge, ihr Werk von ihrem Leben zu lösen. (9)

Zuvor hatte sich Virginia Woolf mit der Geschichte englischer Literatur von Frauen befasst. Das Fehlen großer weiblicher Namen in der Literaturgeschichte führte sie auf die gesellschaftlich diktierten Bedingungen weiblicher Existenz zurück. Zugleich gibt es für sie nur einen Maßstab für "große Kunst", dem die meisten Frauen nicht standhalten können, weil ihr Schreiben zu sehr dem Leben verhaftet gewesen ist. (31 ff.)

Virginia Woolf und Simone de Beauvoir, beide Schriftstellerinnen und beide mit nur "einem" Maßstab für Kunst, dem Frauen nicht entsprechen, weil sie meistens "anders" schreiben als es der universale "männliche Maßstab vorschreibt.

In den sechziger und siebziger Jahren kommt es in den entwickelten Industriestaaten zu einer nicht deutlichen Zunahme von literarischen Texten, die von weiblichen Autoren geschrieben wurden. Ursache dafür ist vor allem die Möglichkeit eines ungehinderten Zugangs für Frauen zur höheren Bildung, die mit zunehmender Selbständigkeit und steigendem Selbstbewusstsein einhergeht. Dies ist auch eine Ursache für die Entstehung einer "neuen Frauenbewegung", die wiederum auf literarische Werke zurückgreifen will und kann.

Die entstehende Literatur wird als etwas Neues erkannt, damit entsteht das Bedürfnis nach einer entsprechenden Einordnung.[8] Die Begriffbestimmungen bleiben auf den inhaltlich-thematischen Bereich beschränkt, ästhetische Maßstäbe werden zunächst noch keiner Prüfung unterzogen.

Bislang hatten schreibende Frauen sich nicht als etwas Besonderes betrachtetet (weil "Damenliteratur" eine pejorative Bedeutung besaß) und nur einen Maßstab für (wirkliche) Kunst angenommen.

Mit dem Aufschwung der Frauenbewegung aber entwickelte sich eine feministische Forschung, Ausgehend von der Aufarbeitung der Kultur- und Sozialgeschichte wurde der angeblich universale Maßstab für Kunst als männlich determiniert erkannt, und es wurde deutlich, dass Frauen diesem nicht genügen konnten und daher schon früher aus dem Kanon herausgefallen waren. Bei der Aufarbeitung der weiblichen Tradition der Literaturgeschichte wurde das Dilemma deutlich: bei einem universalen/männlichen Maßstab würde Frauenliteratur immer wieder als "zweitrangig" deklassiert.

Das ist aber das Dilemma der modernen Literaturwissenschaft überhaupt: ist eine ästhetische Wertung überhaupt noch möglich und sinnvoll, Und wenn ja, nach welchen Kriterien soll sie erfolgen?

Ein weiteres Problem ist das Unhistorische vieler Begriffsbestimmungen, etwa die vom doppelten Ort der Frau (Zitat Weigel)

Welche Veränderungen haben sich in den vergangenen fünfzig Jahren ergeben, welchen Gemeinsamkeiten und Unterschieden existieren zwischen den zwei Gesellschaftssystemen (es kann ohnehin nur über die Frauen in den Industriestaaten der 1. und 2. Welt gesprochen werden) und wie ist die Situation in den sechziger und siebziger Jahren?

Welche Probleme haben Frauen? Frauen haben Schwierigkeiten, eine andere Redeweise in bezug auf das Weibliche und die Frau hervorzubringen. Es entsteht eine problematische Beziehung der Frauen zu anderen Frauen, die eine Subjektposition beanspruchen (Lindhoff, 260 f.)

"Oft erweist sich die Suche nach Gegenbildern oder gar nach Alternativen, eigenen Identitätskonzepten als Wiederholung oder Variation alter Muster..."

"Überhaupt hat sich die Frage nach dem Anderssein der Frau vorerst als Falle entpuppt, da sie bislang nur zu einer Verlängerung der Geschlechterpolarität geführt hat." (261)

Warum der westliche Feminismus sich so schwer auf (real)sozialistische Verhältnisse anwenden lässt

1. zum Beispiel durch die Prämisse/These, "daß Männer die primären Nutznießer des patriarchalischen Systems sind und - bewußt oder unbewußt - und den größten Beitrag zu seiner Aufrechterhaltung leisten", wobei nicht einzelne Männer gemeint sind, sondern die Strukturen eines über Jahrhunderte gewachsenen gesellschaftlichen und kulturellen Rahmens. (Karin Fischer u.a., Aussichtsreiche Abwege, S. 19)

2. Wenn, wie in diesem (und anderen Aufsätzen) als Ziel des Feminismus eine Veränderung dieser Strukturen gesetzt wird, ist die Frage, wie diese geschehen soll, etwa "in der Wechselwirkung mit psychischen Entwicklungen, mit einer Perspektiverweiterung im Sinn eines Aufrechens der patriarchalischen Sichtweise als der einzig wahren sowie einer sukzessiven Neuorganisation von Macht und Privilegien" (19f. - Hervorhebung von mir - B.J.)

Sigrid Weigel hingegen beschreibt eine "feministische Utopie, die davon ausgeht, "daß die männliche Ordnung nicht durch eine anderen weibliche Ordnung zu überwinden sei, sondern nur durch eine Nicht-Ordnung, d.h. durch die Aufhebung der zentristischen, teleologischen, hierarchischen Prinzipien überhaupt." (Sigrid Weigel, Frau und "Weiblichkeit", S. 107)

Trotz der unterschiedlichen Wortwahl ist zu erkennen, dass es hier um mehr geht als um den Widerspruch Utopie - Realität.

Die Etablierung einer Theorie oder eines theoretischen Modells kann zwei Dimensionen haben: eine restriktive/einschränkende oder eine uneingeschränkte/utopische.

1. In einer restriktiven Theorie wird das Bestehende oder die jeweils entwickelten Ideen als das einzig Mögliche erklärt. Einige feministischer Überlegungen verfügen jedoch über eine utopische Dimension, zum Beispiel die Erkenntnis, dass "die männliche Ordnung nicht durch eine andere, weibliche Ordnung zu überwinden sei, sondern nur durch eine Nicht-Ordnung, d.h. durch die Aufhebung der zentristischen, teologischen, hierarchischen Prinzipien", (Sigrid Weigel, Frau und "Weiblichkeit". Theoretische Überlegungen zu einer feministischen Literaturkritik, in: I. Stephan, S. Weigel, Feministische Literaturwissenschaft. Berlin 1984, S. 107.). Die bisher vorgestellten Theorien sind restriktiv, weil sie dualistisch sind, im Wesentlichen auf (binären) Oppositionen beruhen. Die Erkenntnis, dass Analyse und Kritik nicht zu einer Veränderung geführt haben, führt zu einer "Verlagerung" der Kritik als Dekonstruktion". [...]

Wie noch zu zeigen sein wird, ist die feministische Literaturwissenschaft für die Untersuchung der russisch-sowjetischen Frauenliteratur geeignet, und zwar insbesondere in ihrer Kritik tradierter Weiblichkeitsbilder, der Auffassungen und Methoden bisherigen Literaturwissenschaft sowie in den Versuchen, die Besonderheiten von Frauenliteratur aufzuzeigen. Jedoch muss gerade letzteres (stärker als es die FLW tut) auf die sozialökonomischen und ideologischen Gegebenheiten sowie spezifische Entwicklung der russischsprachigen Literatur bezogen werden. Denn die Arbeit orientiert sich an hermeneutischen Prinzipien, die Einfühlung, geschichtliches Wissen und die literarische Tradition verbindet sowie ein bestimmtes Verständnis des Textes als begründet durchsetzen will. (Vgl. Alfred Behrmann, Einführung in die Analyse von Prosatexten. Stuttgart 51982, S. 11.- Jürgen Schutte, Einführung in die Literaturinterpretation. Stuttgart 1990, S. 20 ff.) Daher wird der innerhalb der feministischen Literaturwissenschaft für die achtziger Jahre konstatierte Paradigmenwechsel "von angloamerikanischen zu französischen und von soziohistorischen zu poststrukturalistischen Theoriemodellen", die Lena Lindhoff in ihrer "Einführung in die feministische Literaturwissenschaft" (Vgl. Lena Lindhoff, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. VIII.) konstatiert, bewusst nicht mitgetragen.

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu die Überblicksdarstellungen: B. Hahn, Feministische Literaturwissenschaft, in: K.-M. Bogdal (Hg.), Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. Darmstadt 1990, S. 218 ff. - S. Weigel, Geschlechterdifferenz und Literaturwissenschaft, in: H. Brackert, J. Stückrath, Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbeck b. Hamburg: Rowohlt 1992, S. 677 ff.- G. Rippl, Feministische Literaturwissenschaft. In: M. Pechlivanos (Hg.): Einführung in die Literaturwissenschaft. Stuttgart, Weimar: Metzler 1995, S. 230-240. [2] Sigrid Weigel, Geschlechterdifferenz und Literaturwissenschaft, in: H. Brakert, J. Stückrath, Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbeck b. Hamburg: Rowohlt 1992, S. 678 f.
[3] Ebd., S. 681.
[4] L. Lindhoff, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Stuttgart: Metzler 1995, S. 11.
[5] B. Hahn, S. 225.
[6] L. Lindhoff, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. VIII. Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe.
[7] Vgl. Julia Kristeva, Kein weibliches Schreiben? In: Freibeuter 2, S. 79 ff., zit. nach Lindhoff, S. 116.
[8] Vgl. etwa die Definition bei M. Heuser, Literatur von Frauen / Frauen in der Literatur. Feministische Ansätze in der Literaturwissenschaft, in: L.F. Pusch, (Hg.) Feminismus. Inspektion der Herrenkultur. Ein Handbuch, Frankf./M. 1983, S. 122.

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